Die Nürnberger Großkirchen St. Sebald und St. Lorenz können als komplexe Sammlungen einer Vielzahl von Einzelobjekten, wie Portalen, Pfeilern, Bogenprofilen, Skulpturen und hochwertigen Ausstattungsstücken angesehen werden, die eine ganze Bandbreite sozial-, kunst- und baugeschichtlicher, aber auch konstruktiver, materieller und konservatorischer Informationen transportieren, darüber hinaus innerhalb einer differenzierten räumlichen Struktur aussagekräftig in Relation zueinander stehen und einen Bedeutungsraum bilden.

Anhand der Pfarrkirche St. Lorenz als Referenzobjekt sollte eine Digitalisierungsinitiative als fächerübergreifende Kooperation aus den Bereichen Architektur, Bauforschung, Informatik, Kunst- und Restaurierungswissenschaften, Denkmalbehörden sowie weiteren Expertinnen und Experten aus der Praxis durchgeführt werden, die den Informationsgehalt des Objekts selbst in den Vordergrund rückt und der räumlichen Dimension gebauter Architektur Rechnung trägt. Ziel des Vorhabens war die Erzeugung zielgruppenspezifischer fachrelevanter Datensätze und ihre Bereitstellung in einer Form, die eine weltweite Vernetzung mit anderen Informationsquellen und -nutzungen erlaubt (Linked Open Data).

Der Bauforscher Prof. Dr. Stefan Breitling vom Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien (KDWT) der Otto-Friedrich-Universität Bamberg koordinierte den Verbund und leitete das Teilprojekt Bauforschung/Kunstgeschichte. Weitere Beteiligte waren Zentrumssprecher Prof. Dr. Rainer Drewello sowie Prof. Dr. Stephan Albrecht, Inhaber des Lehrstuhls für Kunstgeschichte, insb. Mittelalterliche Kunstgeschichte. Prof. Dr. Burkhard Freitag vom Institut für Informationssysteme und Softwaretechnik leitete das Teilprojekt Informatik an der Universität Passau.

Informationstechnisch setzt das Projekt auf das an der Universität Passau entwickelte digitale Dokumentationssystem MonArch auf, das für kulturell hochrangige Großbauwerke, archäologische Stätten und urbane Situationen besonders geeignet ist und u.a. bei den Kaiserthermen Trier und der Weißenhofsiedlung in Stuttgart – beide zählen zum UNESCO Welterbe – zum Einsatz kommt. Das MonArch-System beruht auf der Kombination einer grafischen Darstellung und einer für Abfragen geeigneten strukturellen Repräsentation des Gebäudes und aller seiner Teile ähnlich einem Raumbuch. Mithilfe dieses Systems lassen sich Digitalisate von Archivalien innerhalb einer virtuellen Bauwerksstruktur, die hierarchisch oder grafenförmig gegliedert sein kann, ablegen. Das System wurde in diesem Projekt um die genannten Vernetzungsmöglichkeiten und eine objektzentrierte Perspektive erweitert. Insbesondere die Abbildung der komplexen Gebäudestruktur und die Aufschlüsselung von Teilbereichen bis hin zum einzelnen Werkstein, gewährleisten so die bauteilgenaue Referenzierung fachrelevanter Daten.

Zusätzlich neu entwickelt wurde im Passauer Teilprojekt eine Erweiterung der MonArch-Software zur Bereitstellung der entstehenden Datensätze über das Internet als RDF-Graphen, um eine Vernetzung mit anderen Informationsquellen und die Nutzung der Daten in anderen Informationssystemen zu erlauben („Linked Open Data“). Dadurch können andere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die erarbeiteten Datenbestände zielgerichtet abrufen und in ihren Forschungsprojekten nutzen.

Um der virtuellen Gebäudestruktur eine visuell räumliche Komponente hinzuzufügen, wurde vor allem ein für die Baugeschichtsforschung und Denkmalpflege relevanter Satz von wirklichkeitsgetreuen Planzeichnungen zusammengeführt. Das entstandene Planmaterial wurde so aufbereitet, dass es in einem offenen, plattform- und programmunabhängigen Vektorformat (SVG) zur Verfügung steht, mit der Bauwerksstruktur verknüpft und zusätzlich mit semantischer Information angereichert werden kann. Letztere besteht vor allem in der digitalen Dokumentation von kunstwissenschaftlichen, baugeschichtlichen und konservatorischen Befunden, deren Verortung innerhalb der Bauwerksstruktur, ihrer Verknüpfung mit den entsprechenden Zeichnungselementen im interaktiven Planmaterial sowie ihrer Auszeichnung mit kontrollierten Vokabularen. Auf diese Weise wird künftig ermöglicht, das Bauwerk als Objekt in unterschiedlichen fachlichen und nutzerorientierten Kontexten (z.B. Forschung, Site-Management, denkmalpflegerische Behandlung) mit der digitalen Welt zu vernetzen, dadurch gemeinsam erlebbar zu machen und somit den Überlieferungsreichtum (Bauvorgang, Bautechnik, sozialer Kontext, sakrale Topographie) herauszustellen.

Um auch die Bauwerksstruktur vernetzbar zu machen, um ihre Verknüpfbarkeit mit Fremdbeständen zu gewährleisten und um die Befundbeschreibungen möglichst konsistent realisieren zu können, wurden kontrollierte Vokabulare angewendet, die als Mediatoren zu anderen Informationsquellen dienen können. Damit konnte auch die Auswertung des Datenbestands im Rahmen quantitativer Analysen eine möglichst hohe Aussagekraft entfalten. Bestehende Controlled Vocabularies wie Getty AAT, Iconclass, Eagle Vocabularies (Europeana), iDAI.vocab archwort und dergleichen bieten zwar eine Vielzahl von Begriffen an, die für die Erfassung historischer Architektur genutzt werden können, decken jedoch bei weitem nicht die für die Bauforschung und Restaurierungswissenschaften notwendigen Konzepte ab, insbesondere dann, wenn es sich um petrographische Erfassungen, Bearbeitungsspuren, konstruktive Merkmale, Fassungen und vor allem Schadenskategorien handelt. Auch Einzelformen am Bau sind mitunter nur unzureichend vertreten.

Im Projekt wurde deshalb ein eigenes Vokabular erstellt und im Passauer Teilprojekt über semantische Technologien so dicht wie möglich mit den bereits etablierten Vokabularen in Beziehung gesetzt. Dieses Vokabular wird ebenso öffentlich zur Verfügung gestellt wie die Daten selbst. Der Aufbau eines architekturspezifischen Fachvokabulars mit hoher Detailtiefe, das die Begrifflichkeiten aller beteiligten Fachdisziplinen vereint, kann auch für künftige Projekte einen außerordentlichen Mehrwert entfalten.

TitelDie Nürnberger Großkirchen – Best Practice für die digitale Erfassung komplexer Baudenkmale
Laufzeit01.02.2018 – 31.01.2021
MittelgeberBundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Projektnummer01UG1883AX